Befreie das Opfer

Die finnische Organisation Vapauta Uhri ry (auf Deutsch “Befreie das Opfer e.V.”) hilft Opfern des Menschenhandels in Zypern und in Finnland. HOHDE unterstützt die Organisation mit einer Spende im Wert von 5000 €. Wir haben Pia Rendic, die Leiterin des Organisations interviewt.

1. Was gehört zu der Arbeit von Vapauta Uhri ry?

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in Zypern. Dort haben wir ein Tageszentrum namens Room of Hope für Überlebende des Menschenhandels und deren Kinder. An unserem Zentrum bieten wir ihnen psychosoziale Hilfe an und helfen ihnen bei ihrer Rehabilitation.

In Finnland konzentriert sich unsere Arbeit eher auf Bildung, Informieren und Konsultation.

2. Was für Aktivität habt ihr in Zypern?

An unserem Tageszentrum Room of Hope helfen wir Frauen und Kinder, die aus dem Menschenhandel zur sexuelle Ausbeutung ausgekommen sind. Wir versuchen, sie zu rehabilitieren und geben ihnen die psychische Hilfe, die sie brauchen.

Room of Hope trifft sich dreimal pro Woche. Montags ist „Mommy Monday”, an dem den Frauen Erziehungsfähigkeiten gelehrt werden. Dienstags gibt es beispielsweise Griechischunterricht und mittwochs haben wir „Celebration Wednesday”, bei der die Frauen ihr selbst geplantes Programm ausführen dürfen.

Wir haben auch verschiedene Projekte, durch die wir den Frauen Rehabilitation, Arbeit und etwas zu tun anbieten wollen. Neulich haben wir bei Room of Hope eine Zusammenarbeit mit dem Selena-Projekt begonnen, das teilweise von der Universität Tallinn finanziert wird. Drei Frauen von Room of Hope nähen wiederverwendbare Menstruationsprodukte und die Organisation Selena-Projekt verkauft sie weiter, z.B. an das Rote Kreuz, das sie wiederum an Flüchtlingslager verteilt. Im Frühling hatten wir auch ein Tanzprojekt, um das Selbstwertgefühl der Frauen zu verbessern und das Vertrauen in sich selbst und andere zu stärken.

3. Die Organisation hat letztes Jahr eine Spendenaktion für ein neues Projekt namens “Destination Hope” organisiert. Könnten Sie etwas über dieses Projekt erzählen?

Das Projekt Destination Hope ist entstanden als Roni und Rebekka Zidbeck, unsere Kollegen in Zypern, sich dachten, dass wir Hoffnung auch dahin bringen müssen, woher die Menschen zu uns nicht kommen können. Wir wollten einen Lieferwagen kaufen, um logistisch nicht mehr an einen Platz gebunden zu sein. Wir haben 4000 Euro für den Kauf eines Transporters durch Spenden bekommen und jetzt wird der neue Lieferwagen renoviert.

Room of Hope funktioniert dann in dem Wagen, mit dem wir zu den Menschen in Flüchtlingslagern, Gefängnissen und Asylen fahren können. Dort können wir ihnen Kleidung und Essen verteilen und verschiedene Programme wie Tanzstunden ausführen. Ich freue mich sehr, dass das, was in unserem Raum bei Room of Hope jetzt schon passiert, bald auch in Gefängnissen und Flüchtlingslagern passieren kann.

4. Aus welchen Hintergründen kommen die Frauen zu eurem Tageszentrum?

Die meisten Frauen haben in Bordellen gearbeitet, einige auch in Privatwohnungen in Zwangsprostitution. Was alle Frauen gemeinsam haben, ist, dass sie nach Zypern zur Arbeit in Hotels, Restaurants oder als Putzfrauen gelockt wurden. Das, was ihnen in Wirklichkeit vorenthalten wurde, kam erst am Reiseziel in Zypern heraus.

Wo sich die Geschichten unterscheiden, ist in welcher Art die Frau aus dem Menschenhandel herausgekommen ist. Manche haben es geschafft zu fliehen, andere wurden durch eine Polizeirazzia befreit und einigen hat ein Kunde ihnen geholfen zu flüchten.

5. Welche Spuren hinterlässt der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung bei den Opfern?

Niemand erholt sich ganz von Zwangsprostitution. Diese Frauen sind psychisch durchaus gebrochen: sie können nicht schlafen, sie haben ständige Albträume und leiden unter Dissoziationen, Depression, Angststörungen und Panikattacken. Wenn ein Mann sie berührt, schrecken sie sich zurück.

Inwieweit sich die Frau erholt, hängt viel davon ab, wie ihr Leben vor dem Menschenhandel gewesen ist. Wenn die Frau schon vorher traumatisiert gewesen ist oder sie Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch oder schlechten Beziehungen gehabt hat, dauert die Erholung länger im Vergleich zu den Frauen, die eine relativ glückliche Kindheit und Jugend bis zu einem bestimmten Punkt geführt haben. Solche Frauen haben mehr psychische Ressourcen, um mit dem Schmerz umzugehen. Der Erholungsprozess ist auch davon abhängig, was der Frau angetan wurde, als sie noch im Menschenhandel war; ob sie 10-20 oder einen Kunden am Tag hatte und was die ihr getan haben.

Viele Opfer des Menschenhandels geraten nach dem Freiwerden in sehr missbräuchliche Beziehungen. Sie haben Schwierigkeiten eine gesunde Beziehung zu finden, wenn sie überhaupt in der Lage sind, je eine Beziehung einzugehen.

6. Warum blüht der Menschenhandel in Zypern und in ganz Europa?

Zypern ist ein strategischer Punkt für Menschenhandel wegen seiner geographischer Lage. Der Türkische Republik Nordzypern ist noch außerhalb des Gebiets der EU, aber tritt man über die Grenze nach Südzypern ist man schon in der EU. Zypern ist auch aus Afrika gut erreichbar.

Auf EU-Ebene blüht der Menschenhandel, weil man in Europa genug Geld zum zahlen hat. Aus armen Ländern werden Frauen dorthin gebracht, wo die Männer es sich leisten können Sex zu kaufen. In Europa gibt es auch deswegen so viel Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung, weil sich die Legislation von Prostitution innerhalb der EU so viel unterscheidet. Zum Beispiel in Deutschland und in der Schweiz sind Bordellbetriebe legal und dort ist der Kauf von Sexarbeit legal und akzeptabel. In Schweden dagegen ist Prostitution kriminalisiert. In dieser Hinsicht kommt man aus verschiedenen Ländern aus ganz anderen Situationen.

Der Kampf gegen Menschenhandel kommt viel auf den politischen Willen an. In Deutschland hat der Menschenhandel beträchtlich zugenommen, als Prostitution legalisiert wurde. Dort sind Sexarbeiter auch dazu berechtigt, Sozialversicherung zu beantragen. Jedoch haben nur Deutsche dies genutzt, ausländische Sexarbeiter nicht. Ich finde, dass dieses Phänomen recht viel über die Dynamik aussagt, wer Sexarbeit freiwillig macht und wer dazu gezwungen ist.

Pia Rendic
Pia Rendic ist die Gründerin und Betriebsleiterin der Organisation “Vapauta Uhri ry” (auf Deutsch: Befreie das Opfer). Sie ist Teilzeitpfarrerin, Sexualtherapeutin und Schriftstellerin. Pia Rendic hat fünf Kinder und lebt zur Zeit mit ihrer Familie in der Schweiz.

Menschenhandel
Bei Menschenhandel ist das Anwerben, die Beförderung, die Weitergabe, das Beherbergen oder die Aufnahme von Personen zum Zweck der Ausbeutung gemeint. Laut Schätzungen gibt es weltweit 25 Millionen Opfer des Menschenhandels. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist der häufigste Form der Ausbeutung. Andere Ausbeutungsformen umfassen unter anderen die Arbeitsausbeutung und die Mussehe.

In Europa sind 62% der Opfer des Menschenhandels Opfer sexueller Ausbeutung. Die durchschnittliche Lebenszeit einer Frau im Menschenhandel beträgt 7 Jahre, nachdem sie verkauft wurde.

Mehr Information über die Organisation “Vapauta Uhri” finden Sie hier: Vapauta Uhri – Vapauta itsesi